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FC St. Pauli |
21.12.2005, Millerntor, DFB-Pokal |
Kurz vor Weihnachten hat der DFB das Achtelfinale des DFB-Pokal angesetzt und da hat sich der FC St. Pauli
mit dem 4:0-Erfolg über den VfL Bochum ein kleines Geschenk unter den Baum gelegt, denn die Zulosung von Hertha
BSC hat - wenn auch allgemein nicht als das bestmögliche Los empfunden - zu einer wahren Euphorie geführt und die
Eintrittskarten für die heutige Partie waren hochbegehrt. Die erhoffte Live-Übertragung der Partie kam dann zwar nicht dazu -
die TV-Sender zogen die Spiele Mainz gegen Kaiserslautern und Bayern gegen HSV vor, aber auch so ist ein großes Fußballfest in
Sicht, und auch wenn Hertha BSC als Bundesligaspitzenmannschaft für einen Drittligisten eine kaum überwindliche Hürde zu sein scheint, wird Zuversicht demonstriert - so lautet ein Tipeintrag von einem User namens "Beeblebrox" im St. Pauli Fanforum schlicht 4-1 - und danach geht es naggich auf die reeperbahn und andere spekulieren darüber, daß die Fortsetzung der B-Serie mit Siegen gegen Burghausen und Bochum gegen einen Gegner aus Berlin doch kaum schiefgehen könne.
Noch überzeugter von einem Erfolg ist man natürlich bei der Hertha, die es in über 20 Jahren fester Vergabe des Pokalfinales nach Berlin nicht einmal zu diesem Spektakel im eigenen Stadion geschafft hat - jedenfalls nicht mit der ersten Mannschaft, die Amateure haben es den Profis 1993 vorgemacht.
In der Anfangsphase fällt die schnelle Führung für die in der Spielanlage überlegenen Herthaner und schon nach fünf Minuten findet sich
der FC St. Pauli im Hintertreffen. Als fünf Minuten vor der Halbzeitpause das 2:0 fällt, scheint das Spiel trotz aufopferungsvollen Kampfspiels der Hausherren entschieden zu sein - im Pokal holt man gegen ein zwei Klassen höher spielendes Team einfach einen Rückstand mit zwei Zählern nicht mehr auf und es scheint, als habe die Wirklichkeit den FC St. Pauli eingeholt. In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit bringt dann allerdings ein Treffer von Mazingu-Dinzey den Anschluß für die Kicker in Braun-Weiß, so daß die Karten wieder neu gemischt sind, und im zweiten Abschnitt kämpfen die Hausherren um den Ausgleichstreffer, während der Gast den Vorsprung eher zu verwalten sucht, was bis kurz vor dem Ende der Partie auch zu gelingen scheint, aber die 87. Minute bringt dann doch noch den vielumjubelten Ausgleichstreffer zum 2:2 per Kopfball nach einer Ecke. Die Verlängerung ist durchaus ausgeglichen und die Sensation liegt in der Luft, allerdings nur für zehn Minuten, denn dann trifft Marcelinho mit einem Freistoß aus bestimmt 30 Metern Entfernung ins Eck und damit spricht ein weiteres Pokalgesetz gegen den FC St. Pauli, das besagt, daß die unterklassige Mannschaft nach einem Rückstand in der Verlängerung nicht mehr ins Spiel zurückkommt. Aber auch diese Regel ist heute außer Kraft gesetzt, denn genau das gelingt den Hamburgern in der 104. Spielminute durch Lechner und nicht nur das - vier Minuten später sorgt Palikuca per Kopfball für die endgültige Entscheidung zugunsten der Hausherren. Jetzt ist es natürlich die Hertha, die alles nach vorne wirft und man hat in der auffällig langen Nachspielzeit der Verlängerung auch noch gute Chancen zum Ausgleich, doch auch Gelegenheiten zum Konter für St Pauli gibt es noch - die größte bei einem 2:1-Durchbruch -, am Ende aber bleibt es beim 4:3 für den FC und in der nächsten Runde wird mit Werder Bremen die B-Serie fortgesetzt, so daß man ja eigentlich schon so gut wie im Halbfinale steht, auf jeden Fall aber erneut ein volles Millerntorstadion haben wird und vielleicht klappt's ja auch diesmal mit dem TV-Live-Spiel.
Zu Spielbeginn haben die Fans des FC St-Pauli eine "Ganzstadion-Choreograpie" vorbereitet, bei der man die Tribünen - natürlich mit
Ausnahme des Hertha-Blocks - mit braun-weißen Karos präsentiert. Dazu kommen diverse Banner und Spruchbänder, auf denen unter anderem noch mal drauf hingewiesen wird, daß Hamburg braun-weiß sei, was zumindest am heutigen Tag auf breiter Linie stimmt - der Lokalrivale ist schließlich zum Betriebsausflug in München. Im weiteren herrscht bei den Heimfans beste Stimmung, die man sich auch von dem Ein-Tore-Rückstand über weite Strecken der Partie (zwei Tore sind es ja nur für ein paar Minuten) nicht vermiesen läßt. Besonders die Wechselgesänge mit den anderen Tribünen, die von der Gegenseite aus initalisiert werden, kommen sehr gut rüber, zumal sie überall - auch von den Sitzplatzbesitzern der Haupttribüne - nahezu geschlossen beantwortet zu werden scheinen. Gegen Ende des Spiel und in der Verlängerung wird es dann etwas leiser, aber das liegt sicherlich nicht an mangelnder Motivation zum Support, sondern eher daran, daß jetzt Nägelkauen angesagt ist, schließlich ist der Spielverlauf immer nervenaufreibender. Die Hertha-Fans lassen sich auch immer mal wieder hören, fallen aber vor allem dadurch negativ auf, daß einer der Gästefans mehrere Male versucht, Leuchtkugeln in die Heimtribünen zu schießen und bei zwei Fehlschüssen einmal mitten in die Gegengerade trifft, was allerdings ohne größere Folgen geblieben sein soll.
Dagegen sind die Einlagen der Herthaner mit einigem an Rauch und bengalischen Feuern vergleichsweise harmlos, die Durchsagen des Stadionsprechers sind aber in allen Fällen ungefähr die gleichen, daß man eben "das Abbrennen von Feuerwerkskörpern" unterlassen solle, weil man eine "Strafe gegen den eigenen Verein" provoziere und "sich und andere" gefährde.
Das Millerntorstadion ist weiterhin ein Vertreter einer aussterbenden Generation von Spielorten, die zu einem großen Teil von
nichtüberdachten Stehplätzen geprägt sind. Zwar gibt es in der Anlage nicht nur die überdachte Haupttribüne, sondern auch eine zum Teil gedeckte Gegengerade mit Sitzplätzen im oberen Bereich, aber der Großteil der Gegenseite ist wie auch die beiden Kurven einschließlich des in der Südkurve liegenden Gästeblocks ohne Wetterschutz, was man am heutigen Tag bei anhaltenden Regenfällen auch durchaus zu spüren bekommt. Ein weiteres Manko ist die kleine Kapazität des Stadions, denn trotz der vielen Traversen kommt man insgesamt gerade mal auf eine Kapazität von etwas über - bzw. bei den Sicherheitsanforderungen für ein Spiel wie heute etwas unter - 20000 Plätzen. Der größte Pluspunkt der Anlage ist freilich die kompakte Bauweise ohne Laufbahn, denn so ist auch ohne umspannende Überdachung dafür gesorgt, daß sich der Schall gut fangen kann und so die Grundlage für eine Hexenkesselatmosphäre gegeben ist. Von 1970 bis 1999 hieß das Stadion des FC St Pauli übrigens Wilhelm-Koch-Stadion, was auch heute noch gelegentlich zu lesen ist. Die Benennung zu Ehren des früheren Präsidenten des Clubs war in die Diskussion geraten, weil Koch Mitglied der NSDAP gewesen war und am Ende stimmte eine knappe Mehrheit der Jahreshauptversammlung 1998 für die Rückbenennung des Stadions zur folgenden Saison. Als wichtigstes Gegenargument war angeführt worden, daß Koch kein überzeugter Nazi gewesen war, sondern sich vermutlich dem politischem Druck hatte beugen müssen, als amtierender Präsident des Clubs in die Partei einzutreten, am Ende siegte dann aber das Argument, daß ein sich selbst als weltoffener und demokratisch empfindender Verein keine Spielstätte haben dürfe, die nach einem früheren Mitglied der NSDAP benannt sei.
Info
Bilder eins bis drei: groundhopping.de -
Bilder vier bis acht: FC St.Pauli-Fanclub 42 - A Hitchhiker's Guide to the Bundesliga
Info
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