Portugal |
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UEFA EURO 2004 |
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24.06.2004, Estádio da Luz Lisboa, Viertelfinale Europameisterschaft 2004 |
Beim ersten Viertelfinale der Euro 2004 kommt es im Estadion da Luz zu einer Partie, die wohl von vielen als der
vorweggenommene Höhepunkt der Europameisterschaft empfunden wird. Die Heimmannschaft Portugal hat nach dem enttäuschenden
Auftakt-Spiel gegen Griechenland noch das Ruder herumreißen können und sich als Gruppensieger für dieses Viertelfinale
qualifiziert. Gegner ist die Auswahl Englands, deren Gruppenphase einen ähnlichen Verlauf genommen hat. Gegen Frankreich
mußte man in den letzten Spielminuten ein gewonnen geglaubtes Spiel verloren geben, gewann aber die beiden folgenden Spiele
seiner Gruppe, um noch recht souverän die nächste Runde zu erreichen - aber eben "nur" als Gruppenzweiter, was die Briten heute nach hier gebracht hat. All das ist ab heute sowieso vergessen, denn aber jetzt heißt es Sieg oder Turnierende und das zur Not nach 120
Spielminuten per Elfmeterschießen. Die Bedeutung der Partie ist auch an den Schwarzmarktpreisen zu erkennen - die ohnehin in dieser Hinsicht nahezu schmerzfreien Engländer bieten bis zu 750 £ (ca. 1000 €) für eine Karte und so blüht trotz gelegentlicher Verhaftungen von Anbietern der Tickethandel und es kann sich glücklich schätzen, wer bereits im Vorfeld der Euro seine Tickets über die UEFA bestellt hat oder sonstwie auf offiziellem Wege an eine Karte gekommen ist.
Die Partie beginnt nach nur drei Minuten mit dem sprichwörtlichen Paukenschlag, als ein böser Abwehrfehler bei den Hausherren dafür
sorgt, daß Owen frei vor Torwart Ricardo zum Schuß kommt und zum 1:0 vollstrecken kann. So ein Beginn läßt natürlich wenig Raum für taktische Spielereien und so müssen die Portugiesen von Beginn an kommen und das tun sie auch, nur schlägt sich der Druck nicht in Toren, sondern bestenfalls in einigen Torchancen nieder, wobei auch die Rot-Weißen bei Kontern stets gefährlich bleiben. Langsam scheinen den Hausherren gegen Ende des ersten Abschnitts und während der zweiten Halbzeit die Ideen auszugehen, obwohl sie weiterhin alles versuchen, die englische Defensive zu brechen. Eine Viertelstunde vor dem Ende geht Portugals Trainer Scolari ein hohes Risiko ein, als er einen sichtlich ungehaltenen Figo aus dem Spiel nimmt. Zuvor ist fast jeder Angriff über den Star gelaufen, aber tatsächlich wird das Spiel der Rot-Grünen mit dem Wechsel unvorhersagbarer und ausgerechnet Figos Ersatzmann Hélder Postigo ist es, der in der 83. Minute den Ausgleich macht. Nach einer erneuten Schrecksekunde für Portugal kurz vor dem Abpfiff - Owen trifft per Kopfball die Latte, danach köpft Campbell ein, aber das Spiel ist völlig zu Recht wegen eines Fouls an Ricardo unterbrochen - geht es beim Spielstand von 1:1 in die Verlängerung.
Und diese Verlängerung soll es noch einmal in sich haben. Beide Mannschaften suchen die Entscheidung und wollen sich nicht auf das
Glücksspiel eines Elfmeterschießens verlassen. Im ersten Abschnitt der Verlängerung - bei einer Führung wäre die Partie danach wegen der Silver-Goal-Regelung zu Ende - fällt kein Treffer, obwohl vor allem die Portugiesen aus dem Ausgleichstreffer Mut geschöpft haben und das Spiel klar dominieren. In der 110. Spielminute ist es dann Rui Costa - wie der Schütze des Ausgleichs erst eingewechselt -, der sich ein Herz faßt und aus zweiter Reihe einen Schuß abfeuert, der unhaltbar seinen Weg ins lange Eck der Briten findet, denen jetzt nur noch zehn Minuten bleiben, um dem Spiel eine erneute Wende zu geben. Und fünf Minuten später ist es dann tatsächlich so weit: nachdem Simão die Chance zum 3:1 knapp vergibt, kommt es im Gegenzug zu einer unübersichtlichen Situation, in der Lampard die Ruhe behält und das Leder über die Linie bugsiert. Obwohl sich beide Teams mit dem Shootout immer noch nicht abgefunden haben, endet das Spiel schließlich ohne weitere Treffer und das Glücksspiel Elfmeterschießen beginnt. Als erster Schütze der Engländer vergibt sofort Beckham, der schon gegen Frankreich einen Elfmeter nicht verwandeln konnte. Da ausgerechnet beim Schützen des Führungstors aus der Verlängerung, Rui Costa, im Elfmetschießen die Nerven versagen, geht es nach fünf Strafstößen weiter. Und hier wird Torhüter Ricardo zum Held des Tages: Zunächst pariert er einen Elfmeter von Vassell, dann legt er sich das Leder selbst auf dem Punkt zurecht und verwandelt zum Siegtor für Portugal.
Optisch scheint das Estádio da Luz fest in der Hand Englands zu sein, denn unter den Bannern, die die Bande zwischen Ober- und Unterrang
zieren, findet sich nur sporadisch mal etwas Grün-Rotes in den Farben der Portugiesen, aber während des Spiels zeigt sich dann, daß man doch sehr gemischt sitzt und das sich das Verhältnis zwischen Anhängern der Hausherren und der Briten so etwa die Waage hält. Die Engländer zeigen sich wie bei Länderspielen stets als lautstarke Sänger und feuern ihr Team mit dem üblichen Liedgut wie z. B. "Britannia rule the waves" nach vorne, während sich auch die Portugiesen immer wieder zu Wort melden, vor allem mit dem stakkato-artigen "Pur-Tu-Gal! Pur-Tu-Gal!". Im Laufe der zweiten Hälfte flacht der Support auf seiten der Gastgeber ein wenig ab - zwar setzt man zwischendurch immer mal wieder zu seinen Anfeuerungsrufen an, bleibt dann aber auch immer wieder mal für längere Zeit recht ruhig - offensichtlich hat sich die Nervosität der Mannschaft auch auf das Publikum übertragen. Anders wird das natürlich mit den Treffern für die Portugiesen und nach dem Abpfiff ist Volksfeststimmung angesagt, als nicht nur im Stadion getanzt und gefeiert wird, sondern überall auf den Straßen Freudenkundgebungen wie Hupkonzerte und spontane Feste stattfinden. Als schlechte Verlierer präsentieren sich übrigens nach der Partie nicht die englischen Fans, sondern später die Boulevardpresse des Königreichs, in der von "gestohlenem Sieg" durch den "Schweizer Bänker" die Rede ist - man macht den Unparteiischen wegen des zu Recht nicht gegebenen Tors zum 2:1 für die Niederlage verantwortlich, da man im Gegensatz zum Rest der Welt in der Szene kein Foul hatte erkennen können. Die portgiesische Presse vermeldet dann später noch, daß es nach dem Viertelfinal-Aus in England zu Gewalttaten gegen portugiesische Einwanderer gekommen sein soll, aber es ist natürlich aus der Distanz schwer einzuschätzen, ob da was dran ist.
Am Estádio da Luz hat sich seit Februar nicht mehr viel getan, deshalb hier die Stadionbeschreibung vom Champions League Spiel
Benfica v Rosenborg: Das Estádio da Luz hat nichts mehr mit der offenen Schüssel ohne Überdachung
zu tun, die hier vor wenigen Jahren noch zu finden war, und präsentiert sich bereits im neuen Gewand für die Euro 2004 als Vertreter eine hochmodernen Generation von Stadien - freilich im besten Sinne. Die Sitze der vierstöckigen Anlage, die komplett mit zwei vollen und zwei Mini-Rängen ausgestattet ist, sind komplett in rot-weißen Vereinsfarben gehalten, was auf einer Seite die Aufschrift "Centenarios Benfica" und einen stilisierten Adler , hinter den Toren allerdings auch die für Puristen sicherlich eher schmerzhaften Werbebotschaften "Coca Cola" und "Sagres" ergibt. Absolut eigenwillig ist die Dachkonstruktion im da Luz. Jede einzelne Tribüne verfügt über ein halbkreisförmiges Dach in roter Farbe, mit dem man logischerweise die Ecken nicht abdecken kann. Die Lücken sind mit exakt passenden weißen "Flicken" abgedeckt, die auf kleinen Säulen oberhalb der Halbkreise ruhen und so der Überdachung insgesamt ein etwas blütenhaftes Aussehen verleihen. Von weitem gesehen dominiert übrigens auch das Dach das Aussehen der Anlage, allerdings besonders mit den ausladenden roten Metallbögen, an denen die Halbkreisdächer von oben aufgehängt sind - all das ergibt eine schwer in Worte zu fassende Anlage, die man sich einfach selbst ansehen muß! Die Tribünen selbst sind in den jeweiligen Mitten etwas erhöht und fallen in einer Art Wellenbewegung zu den Diagonalen hin ab, was Platz schafft, um in zwei Diagonalen eine Multimediatafel unter das Dach zu hängen. Unvermeidlich ist natürlich in der heutigen Zeit die Konstruktion der Anlage als Allseater, wogegen es europaweit außer in Deutschland kaum Widerstand zu geben scheint, weniger umstritten ist auch hierzulande sicherlich die zweite Selbstverständlichkeit, nämlich, daß es sich um ein reines Fußballstadion handelt.
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